Zeitensprünge“-Projektfahrt

Am 25. April 2016 ging es gemein­sam mit den pol­ni­schen Jugend­li­chen, Herrn Dr. Man­gei, Frau Koch, Frau Klo­nows­ka (Kasia) und Frau Szcz­typ­ka (Mal­wi­na) als Dol­met­sche­rin­nen und der enga­gier­ten pol­ni­schen Leh­re­rin Frau Ania Zoled­ziews­ka für drei Tage auf den Land­hof Lie­pe in der Nähe des Schiffs­he­be­wer­kes Niederfinow.

Unse­re Unter­brin­gung und Ver­pfle­gung beschrei­ben Moni, Xenia und Lisa-Marie so:

Obwohl das Essen manch­mal nicht so unser Fall war, war die Unter­kunft  der Ham­mer, es sah aus wie in einem Hotel.“ 

In Lie­pe woll­ten wir gemein­sam an unse­rem The­ma „Flucht und Ver­trei­bung 1945 und Flucht aus der DDR 1989“ arbei­ten und uns dazu natür­lich erst ein­mal kennenlernen.

So orga­ni­sier­ten Kasia und Mal­wi­na zuerst eine Ken­nen­lern­run­de, in der wir uns auf deutsch und pol­nisch vor­stell­ten. Da ging es ganz schön hoch her. Aber selbst der letz­te Sprach- und Spiel­muf­fel wur­de vom Spaß ange­steckt, und so wuss­ten wir nach andert­halb Stun­den nicht nur, wer unse­re pol­ni­schen Part­ner sind, son­dern auch, wie wir uns selbst in der Spra­che des Nach­bar­lan­des vor­stel­len kön­nen. - Auch die abend­li­chen Inte­gra­ti­ons­spie­le und Sprach­ani­ma­tio­nen mach­ten viel Spaß und wur­den gut ange­nom­men. Die Freu­de am Auf­ein­an­der­zu­ge­hen und Sich­ver­stän­di­gen­wol­len wur­de unter ande­rem dadurch deut­lich, dass  eini­ge pol­ni­sche und deut­sche Jugend­li­che mit den aus­ge­teil­ten Büch­lein vom DPJW und per Han­dy-Trans­la­tor-App bis spät­abends zusammensaßen.

Nach dem Mit­tag­essen am 25.4.  stell­ten die pol­ni­schen Pro­jekt­teil­neh­mer und wir unse­re jewei­li­gen Arbeits­schwer­punk­te und bis­he­ri­gen Arbeits­er­geb­nis­se vor.

So wuss­ten alle Pro­jekt­teil­neh­mer, womit sich die ande­ren Grup­pen jeweils beschäf­ti­gen und beka­men eine Über­sicht. Auch wur­de klar, war­um sich die­ses The­ma „Flucht und Ver­trei­bung“ gut für ein deutsch-pol­ni­sches Begeg­nungs­pro­jekt eig­net: Die aus Ost­po­len ver­trie­be­nen Polen wur­den nach dem Zwei­ten Welt­krieg in den leer­ge­räum­ten ehe­ma­li­gen deut­schen Ost­ge­bie­ten ange­sie­delt. Mehr noch als unse­re deut­schen Jugend­li­chen sind fast alle pol­ni­schen Fami­li­en­ge­schich­ten mit Ver­trei­bung 1945 ver­knüpft. Dass Deut­sche und Polen das glei­che Schick­sal erlit­ten, ist im Bewusst­sein noch nicht tief ver­an­kert. Dies soll sich durch das Pro­jekt ändern.

Die Dol­met­scher sorg­ten dafür, dass alle alles ver­ste­hen konn­ten. Die Jugend­li­chen übten sich so auch in gegen­sei­ti­ger Rück­sicht­nah­me und Konzentration.

An allen drei Tagen in Lie­pe wur­den grup­pen­in­tern in ins­ge­samt 10 Zeit­stun­den die Stu­di­en vor­an­ge­trie­ben und im Anschluss das Erreich­te kurz den ande­ren Grup­pen vorgestellt.

Bericht der Grup­pe Flucht und Ver­trei­bung 1945 (deutsch)

Unse­re Grup­pe ver­schrift­lich­te das kom­plet­te Inter­view mit Herrn von Alvens­le­ben. Dies fan­den wir sehr anstren­gend und zeit­auf­wän­dig, da alles erst ein­mal wort­wört­lich auf­ge­schrie­ben wer­den soll­te. Den­noch streng­ten wir uns sehr an und arbei­te­ten konzentriert. 

Am 26.4. besuch­te uns ein Zeit­zeu­ge aus Ber­lin. Den Kon­takt hat­te Kasia her­ge­stellt, die seit eini­ger Zeit die Grup­pe ehe­ma­li­ger deut­scher Lud­wigs­ru­her Ein­woh­ner auf ihren Tref­fen in Lubis­zyn betreut. Herr Fröh­lich stell­te sich unse­ren Fra­gen von 10:00 bis 12:15 Uhr. Schön war, dass vier pol­ni­sche Schü­ler am Zeit­zeu­gen­ge­spräch teil­nah­men.  Mal­wi­na „flüs­ter­dol­metsch­te“ und sorg­te für Ver­ständ­nis auch auf pol­ni­scher Sei­te. Beson­ders beein­dru­ckend war, als sich ein Jun­ge, der jetzt in Lubis­zyn wohnt, gemein­sam mit Herrn Fröh­lich fach­sim­pelnd über alte Mess­tisch­blät­ter und  Fotos beug­te und aus­tau­schen konn­te, was heu­te wo ist und wie es frü­her war. Bei Alt und Jung leuch­te­ten die Augen und das Inter­es­se war groß. Hier wur­de noch ein­mal die Idee bekräf­tigt, dass wir im Sep­tem­ber nach L. fah­ren wol­len – und uns dort mit den Senio­ren und pol­ni­schen Schü­lern tref­fen und aus­tau­schen wol­len – ein Brü­cken­schlag über die Gren­zen und Zei­ten hinweg.“(Kathrin Koch, Man­dy, Chantal)

Bericht der Grup­pe Ver­trei­bung 1945 (pol­nisch)

Die Schü­ler mach­ten sich am Mon­tag nach den Vor­trä­gen an die Arbeit. Sie arbei­te­ten auch nach dem Abend­brot und danach tra­fen sie sich in einem Saal, wo jede der Grup­pen ihre Arbeit am ers­ten Tag zusammenfasste. 

Am Diens­tag nah­men die Jun­gen aus unse­ren Schu­len und eine der deut­schen Grup­pen an einem Inter­view mit dem Zeit­zeu­gen, dem Herrn, der in Lubis­zyn gebo­ren wur­de und als Kind zusam­men mit sei­nen Eltern nach Deutsch­land umge­sie­delt wur­de. Die sons­ti­gen Schü­ler arbei­te­ten in ihren Grup­pen und ver­such­ten Urkun­den abzu­le­sen, hör­ten Inter­views ab, schrie­ben den Ver­lauf der Geschich­ten ihrer Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen nieder. 

Nach der Rück­kehr hat­ten die Schü­ler eine Stun­de, um sich zu erho­len, und dann setz­ten sie ihre Grup­pen­ar­beit fort. 

Am Mitt­woch nach dem Früh­stück tra­fen sich die Grup­pen, um die Arbeit an ihren Auf­ga­ben zu been­den. Die pol­ni­sche Grup­pe berei­te­te vier Reden vor: Klau­dia mit Wik­to­ria und Mar­ce­li­na prä­sen­tie­ren die Geschich­te der „Tan­te” von Karo­li­na – einer Ein­woh­ne­rin von Lubis­zyn, Mary­na und Kor­ne­lia prä­sen­tier­ten die Geschich­te der Fami­lie von Mar­ty­na – ihrem Groß­va­ter und Urgroß­va­ter, die ein­mal auf frü­he­ren pol­ni­schen Ost­ge­bie­ten wohn­ten, wäh­rend Zuzia, Wik­to­ria und Wer­o­ni­ka zwei Geschich­ten prä­sen­tier­ten: die ers­te betraf die Oma der Zwil­lings­schwes­tern und den Opa von Zuzan­na. Die Jun­gen berei­te­ten wäh­rend­des­sen all­ge­mei­ne Mate­ria­li­en vor, die ein­zel­ne Geschich­ten erklär­ten. Nach dem Mit­tag­essen fand ein zusam­men­fas­sen­des Tref­fen statt.“ (Ania  Zoled­ziews­ka)

Bericht der Grup­pe Flucht aus der DDR ‘89

Zum The­ma Flucht aus der DDR ’89 konn­ten wir bis­her noch kei­ne Zeit­zeu­gen fin­den, die wir hät­ten inter­view­en kön­nen. Des­halb beschäf­tig­ten wir uns an den Pro­jekt­ta­gen in Lie­pe u.a. mit Schrift­quel­len und Film­do­ku­men­ta­tio­nen; außer­dem wer­te­ten wir die Dar­stel­lung eines Spiel­films (Good Bye, Lenin!) aus.

Am ers­ten Tag beschäf­tig­ten wir uns all­ge­mein mit dem The­ma Flucht und ver­such­ten uns an all die Din­ge zu erin­nern, die wir schon frü­her von Zeit­zeu­gen über die DDR gehört hat­ten. Dabei fiel auf, dass man­che die DDR als völ­lig posi­tiv beschrie­ben haben („Als die Mau­er noch stand, war alles bes­ser!“), wäh­rend ande­re die Situa­ti­on in der DDR als ganz uner­träg­lich emp­fan­den.  Die­se „Schwarz-Weiß-Urtei­le“ waren auf­fäl­lig und führ­ten uns zur Beschäf­ti­gung mit opti­schen Täu­schun­gen (Kipp-Bil­dern), die ver­gleich­ba­re Ent­we­der-oder-Urtei­le veranschaulichen.

In der zwei­ten Stu­di­en­run­de betrach­te­ten wir das Hin­der­nis genau­er, das DDR-Flücht­lin­ge zu über­win­den hat­ten, wenn sie aus dem Land flie­hen woll­ten: Wir zeich­ne­ten die inner­deut­sche Gren­ze und die Ber­li­ner Mau­er auf Land­kar­ten ein und mach­ten uns dar­über hin­aus klar, wel­che Nach­bar­län­der der DDR bis 1989 eben­falls hin­ter dem „Eiser­nen Vor­hang“ lagen. Schließ­lich ver­schaff­ten wir uns auch Klar­heit über den Auf­bau der Gren­ze und Mau­er mit den töd­li­chen Schieß­an­la­gen und Minenfeldern.

Am Diens­tag ana­ly­sier­ten wir den Film „Good Bye, Lenin!“ Dar­in wird u.a. das Leid einer Fami­lie dar­ge­stellt, die – nach der Flucht des Vaters – durch die Mau­er getrennt ist. Wir fan­den den Film auch des­halb inter­es­sant, weil er vor allem im Jahr ’89 spielt und Ein­bli­cke in die Zeit unse­res Pro­jekt­the­mas gibt. Bei unse­ren Über­le­gun­gen zum Film wur­de deut­lich, dass der Film ver­schie­de­ne bedrü­cken­de und nega­ti­ve Sei­ten der DDR-Zeit zeigt: z. B. die Unter­drü­ckung des Vaters, der nicht für die SED arbei­ten woll­te (und des­halb aus dem Land floh), oder die bru­ta­le Gewalt gegen Demons­tran­ten, die fried­lich für Pres­se­frei­heit ein­tra­ten etc. Ver­ständ­lich wur­de gleich­zei­tig auch, dass sich vie­le Men­schen aus Angst mit den DDR-Ver­hält­nis­sen arran­gier­ten oder dass sie im Klei­nen dar­auf hin­ar­bei­te­ten, inner­halb des Lan­des etwas zu ver­än­dern und zu ver­bes­sern. – In der Arbeits­run­de am Nach­mit­tag beschäf­tig­ten wir uns mit ver­schie­de­nen spek­ta­ku­lä­ren Flucht­ver­su­chen, die ein­zel­ne Per­so­nen, Paa­re und Fami­li­en noch vor ’89 unternahmen.

In unse­rer letz­ten Stu­di­en­ein­heit, am Mitt­woch, teil­ten wir uns in fünf klei­ne­re Grup­pen und unter­such­ten ver­schie­de­nen Schrift­quel­len und Inter­views zur Situa­ti­on und Stim­mung ’89. Damals begehr­ten vie­le Bür­ger der DDR mit fried­li­chen Pro­tes­ten gegen die Situa­ti­on im Land auf und for­der­ten Ver­än­de­run­gen. Wir woll­ten wis­sen, was die­se Men­schen damals über die Situa­ti­on im Land dach­ten, was sie unzu­frie­den mach­te usw. Genannt wur­de u.a. die stän­di­ge Angst vor der Sta­si, Angst vor Unter­drü­ckung, das Gefühl der Unfrei­heit und die nur man­gel­haft funk­tio­nie­ren­de Wirtschaft.

            Aus einem Doku­men­tar­film zogen wir schließ­lich Infor­ma­tio­nen über die außen­po­li­ti­schen Ver­än­de­run­gen, beson­ders über die Grenz­öff­nung in Ungarn, die dann zum Aus­gangs­punkt für die mas­sen­haf­te Flucht von DDR-Bür­gern wurde.

Mit die­sen Stu­di­en­ein­hei­ten haben wir uns Hin­ter­grund­wis­sen zum The­ma Flucht aus der DDR ‘89 erar­bei­tet. Als nächs­tes plant unse­re Arbeits­grup­pe Zeit­zeu­gen-Inter­views. Dazu wol­len wir nach Cott­bus und Ber­lin fah­ren und uns mit Leu­ten tref­fen, die 1989 aus der DDR geflüch­tet sind.“  (Dr. Bern­hard Mangei)

Lukas ergänzt dazu:

Alles in allem haben wir fest­ge­stellt, dass Flucht grau­sam sein kann und manch­mal auch in den Tod führ­te,  z.B. bei der Flucht über die Mau­er. Flucht bringt viel Leid mit sich und vie­le Flücht­lin­ge fal­len in Armut.“

Die gemein­sa­me Wan­de­rung zum und die Fahrt durch das nahe gele­ge­ne Schiffs­he­be­werk Nie­der­fi­now am 2. Tag der Pro­jekt­fahrt beschrei­ben Maik und Pas­cal so:
Nach­dem wir uns wet­ter­fest ange­zo­gen hat­ten, gin­gen wir im Unwet­ter mit den pol­ni­schen Schü­lern zum Schiffs­he­be­werk. Dort bega­ben wir uns auf ein klei­nes Schiff und fuh­ren los. Es dau­er­te ein biss­chen, bis wir uns neben einem Schub­schiff im Trog des Hebe­wer­kes rich­tig posi­tio­niert hat­ten. Wäh­rend­des­sen erkun­de­ten wir das Schiff und gin­gen auch an Deck, um den Vor­gang bes­ser beob­ach­ten zu kön­nen. Mit einer Art Fahr­stuhl fuh­ren wir dann 36 m nach oben und genos­sen die schö­ne Aus­sicht – über die Baum­wip­fel hin­weg weit ins Land. Oben ange­kom­men, fuh­ren wir noch ein Stück des Oder-Havel-Kanals ent­lang. Nach kur­zer Zeit dreh­ten wir aber wie­der um und fuh­ren mit dem „Fahr­stuhl“ wie­der hin­ab. Uns hat die Fahrt gut gefal­len, weil uns die Fak­ten über das Hebe­werk inter­es­siert haben.“

Die drei Tage haben uns ein gan­zes Stück wei­ter­ge­bracht bei der Erfor­schung unse­res Zei­ten­sprün­ge­the­mas. Wir bedan­ken uns des­halb ganz herz­lich bei allen Orga­ni­sa­to­ren, allen vor­an Katar­zy­na Klo­nows­ka, und bei unse­rem Zeit­zeu­gen, Herrn Fröhlich.

Unser beson­de­rer Dank gilt der Meyer-Struckmann-Stifung.

Kath­rin Koch mit Bei­trä­gen von Herrn Dr. Man­gei, Frau Zoled­ziews­ka und eini­gen Neunt­kläss­lern der Ober­schu­le Briesen